BWKG-Indikator /1. Halbjahr 2010 - Wirtschaftliche Situation, Erwartungen und Beschäftigung in Krankenhäusern, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen
Finanzielle Lage in allen Einrichtungen angespannt - Ärzte und Pflegepersonal schwer zu finden
(Stuttgart) – Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft (BWKG) stellt heute zum ersten Mal den BWKG-INDIKATOR vor – eine aktuelle Umfrage unter den Geschäftsführungen der BWKG-Mitgliedseinrichtungen. Im Mittelpunkt stehen dabei Einschätzungen zur wirtschaftlichen Situation und zur Beschäftigungsentwicklung der Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen im Land. „Die Gesundheitseinrichtungen sind das Rückgrat der Infrastruktur, mit über 230.000 Beschäftigten ein wichtiger Arbeitgeber und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Um auch künftig die bestmögliche Versorgung der Patienten sicherzustellen, brauchen die Einrichtungen eine ausreichende Finanzierung und gut ausgebildete Mitarbeiter. Die Umfrage zeigt, dass gerade bei diesen Punkten dringender Handlungsbedarf besteht“, erläutert der Vorstandsvorsitzende der BWKG, der Reutlinger Landrat Thomas Reumann. Besonders besorgniserregend: Das Problem des Ärztemangels ist in Baden-Württemberg angekommen. Und auch im Pflegebereich droht ein Mangel an Fachkräften.
Wirtschaftliche Situation der Einrichtungen
Die wirtschaftliche Situation ist laut Thomas Reumann bei Krankenhäusern, Reha- und Pflegeeinrichtungen gleichermaßen problematisch. „Und die meisten Einrichtungen erwarten, dass sich diese schwierige Situation in den kommenden 12 Monaten nicht verbessern wird“, ergänzt der Vorstandsvorsitzende. Höchstens 17% rechnen mit einer Verbesserung der Situation.
Die Umfrage zeigt, dass drei von fünf Krankenhäusern (58,9%) im Land im Jahr 2009 keinen Gewinn gemacht haben, in 2008 waren dies 54,3%. „Damit die Einnahmen und die Kosten der Krankenhäuser nicht immer weiter auseinander klaffen, ist es das Allermindeste, dass die durchschnittlichen Personal- und Sachkostensteigerungen von den Kassen voll finanziert werden“, erklärt Reumann. Das Statistische Bundesamt entwickle aktuell den so genannten Orientierungswert, der die tatsächliche Kostenentwicklung im Krankenhaus abbilde. Ob dieser Wert dann bei der Erhöhung der Krankenhausvergütung des Jahres 2011 angewendet werde, entscheide allerdings das Bundesgesundheitsministerium. „Eine solche Politik nach Kassenlage lehnen wir ab. Die Entwicklung des Orientierungswerts muss ungekürzt bei den Krankenhäusern ankommen“, betont Thomas Reumann.
Bei den Rehabilitationseinrichtungen haben 2009 und auch in 2008 sogar fast drei von vier keine Gewinne gemacht (jeweils 74,6%). „An Rehabilitation zu sparen heißt, am falschen Ende zu sparen. Denn von medizinischer Rehabilitation profitierten alle: die Patienten, die Sozialversicherungen und die Wirtschaft“, macht Reumann deutlich. Nicht umsonst seien die Rehaeinrichtungen wichtiger Bestandteil der Gesundheitsstrategie des Landes Baden-Württemberg. Äußerst besorgniserregend sei die Situation in der geriatrischen Rehabilitation. Keine einzige Einrichtung habe in der Umfrage angegeben, dass sie schwarze Zahlen geschrieben hat. „Wenn die hervorragenden Strukturen der geriatrischen Rehabilitation im Land erhalten bleiben sollen, müssen sich alle Beteiligten – Kassen, Land und Einrichtungen – in einem gemeinsamen Kraftakt dafür einsetzen“, unterstreicht der Vorstandsvorsitzende. „Aus kurzsichtiger Sparsamkeit darf die Versorgung der Patienten nicht fahrlässig aufs Spiel gesetzt werden, zumal aufgrund der demographischen Entwicklung der Bedarf an geriatrischer Rehabilitation steigen wird.“
Von den Pflegeeinrichtungen verbuchten 2009 71,8% keinen Gewinn (2008 64,0%). Ein Grund dafür ist laut Thomas Reumann die Einstufung in die Pflegestufen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Diese sei deutlich niedriger als in anderen Bundesländern. „Wir brauchen eindeutige Kriterien für die Einstufung, um eine Umverteilung zu Lasten von Baden-Württemberg zu verhindern“, sagt Reumann. Zudem müssten die beträchtlichen Qualitätsanforderungen, die sich im hohen Anteil an Fachkräften widerspiegelten, auch finanziert werden. Ansonsten seien die kommenden Herausforderungen nicht zu bestehen. Das Statistische Landesamt rechne im Zeitraum von 2009 bis 2031 mit einem Anstieg der stationär Pflegebedürftigen von 62%.
Gleichzeitig müssen die Einrichtungen dringend von unnötigen Bürokratiekosten entlastet werden, fordert der BWKG-Vorstandsvorsitzende. „Die Ärzte und die Pflegekräfte haben vor lauter Dokumentationsverpflichtungen immer weniger Zeit, sich um ihre eigentlichen Aufgaben – die Versorgung der Patienten und Bewohner – zu kümmern. Wir brauchen deshalb einen umfassenden Bürokratie-Check“, so Reumann. In den Krankenhäusern müssten beispielsweise die Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und die Belastungen durch die Vorschriften des Gemeinsamen Bundesausschusses auf ein sinnvolles Niveau reduziert sowie das Inkasso für die Zuzahlungen der Patienten wieder auf die Krankenkassen zurückverlagert werden. In den Pflegeheimen müssten Doppelbelastungen durch die Prüfungen und Dokumentationsanforderungen des MDK und der bei den Landkreisen angesiedelten Heimaufsicht verhindert werden. Bei neuen Gesetzen und Verordnungen müssten die damit verbundenen Bürokratiekosten transparent gemacht werden.
Beschäftigungssituation in den Einrichtungen
„Die Beschäftigung in den Gesundheitseinrichtungen wird unbeeindruckt von der Finanz- und Wirtschaftskrise auf einem sehr hohen Niveau gehalten – sie sind Inseln der Stabilität und der Beschäftigung“, bewertet der Verbandsdirektor der BWKG, Matthias Einwag, die Ergebnisse der Umfrage. Es zeichne sich aber ab, dass es für die Einrichtungen immer schwieriger werde, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. „Einfache Lösungen wird es nicht geben. Wir werden im Gegenteil ein ganzes Bündel von Maßnahmen ergreifen müssen, um das Problem schnell in den Griff zu bekommen“, so Einwag.
Die Umfrage belegt eindeutig, dass das Problem des Ärztemangels in Baden-Württemberg angekommen ist. 85% der Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen rechnen mit wachsenden Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen. Hier müsse an allen Ecken angesetzt werden. Die Zulassungsmodalitäten zum Medizinstudium sollten so ausgestaltet werden, dass diejenigen studieren können, die wirklich als Arzt arbeiten wollen. Ein wesentlicher Eckpunkt zur Sicherung der Patientenversorgung trotz Ärztemangels seien gerade in ländlichen Gebieten die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Gerade die MVZ der Krankenhäuser böten flexible ärztliche Arbeitsplätze im Angestelltenverhältnis an und sicherten zudem die Verzahnung von ambulanten und stationären Leistungen. Es müsse auch überlegt werden, welche Tätigkeiten auch von anderen Berufsgruppen ausgeführt werden könnten.
Auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Pflegekräfte ist schwierig. „Mit großer Sorge erfüllt uns vor allem die Lage in den Altenpflegeeinrichtungen“, so Einwag. So rechnen vier von fünf Pflegeeinrichtungen (78,7%) mit wachsenden Schwierigkeiten bei der Besetzung von Stellen im Pflegebereich sowie jedes zweite Krankenhaus (48,4%) und jede zweite Rehaeinrichtung (51,7%). Erfahrungsgemäß sei die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Altenpflegebereich ein Frühindikator für die Entwicklung im Pflegebereich insgesamt. Es sei zu erwarten, dass auch die Suche nach Krankenpflegerinnen und Krankenpflegern für die Krankenhäuser und Rehaeinrichtungen noch schwieriger wird, wenn nicht schnell gehandelt werde.
„Jeder, der in der Altenpflege arbeiten will und die Fähigkeiten dazu hat, soll einen passenden Ausbildungsweg finden“, betont Einwag. Um den Pool an möglichen Bewerbern auf die Hauptschüler auszudehnen, müsste die Ausbildungsausgleichsverordnung des Landes geändert werden. So sollte die einjährige Ausbildung zum Pflegehelfer berücksichtigt werden, damit deren Ausbildung für die Pflegeheime attraktiver wird. Befähigte Hauptschüler könnten so an den Beruf der Altenpflege herangeführt werden und anschließend eine dreijährige Altenpflegeausbildung machen.
In der Krankenpflege sei es wichtig, dass die Finanzierung der Ausbildung in den Krankenhäusern auch in Zukunft gesichert wird. Aktuell beraten laut Einwag die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Krankenkassen über Pauschalen, die ein Krankenhaus dafür bekommt, dass es eine Pflegenachwuchskraft ausbildet. „Die Pauschale muss so festgelegt sein, dass es für die Krankenhäuser attraktiv bleibt, Pflegekräfte auszubilden. Hier zu sparen, wäre absolut kontraproduktiv“, so Einwag. Auch im Pflegebereich müsse außerdem die Entlastung durch andere Berufsgruppen wie beispielsweise Servicekräfte überprüft werden.