BWKG-Indikator Herbst 2012:
Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen rutschen immer tiefer in die Finanzierungskrise
„Unsere Geduld ist zu Ende“
BWKG-Vorstandsvorsitzender Thomas Reumann kündigt Protest- und Informationsveranstaltungen vor Ort an
„Die finanzielle Situation der Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen im Land verschlechtert sich zusehends“, fasste der Vorstandsvorsitzende der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), Thomas Reumann, die zentralen Ergebnisse des BWKG-Indikators Herbst 2012 zusammen, den er heute in Stuttgart vorstellte. Der Reutlinger Landrat sprach von „einem Ende der Geduld“ und kündigte bis zur Bundestagswahl eine Reihe von Protest- und Informationsveranstaltungen vor Ort an. Reumann: „Wir werden unseren Forderungen ein Gesicht geben und die Politiker in die Pflicht nehmen. Denn das, was die Politik bisher gegen die Fehlkonstruktion der Krankenhausfinanzierung getan hat, ist absolut unzureichend.“
Seit dem Frühjahr 2010 werden die Geschäftsführer der Krankenhäuser, Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen von der BWKG regelmäßig halbjährlich nach der wirtschaftlichen und personellen Situation in ihren Häusern befragt. „Dramatisch ist, dass viele Politiker die Situation der Gesundheitseinrichtungen schönreden oder schlicht ignorieren“, betonte der Vorstandsvorsitzende Thomas Reumann, der gleichzeitig Reutlinger Landrat ist. Dabei seien die Befragungsergebnisse eindeutig: 59,2% der Krankenhäuser, 76,5% der Reha-Einrichtungen und 57,7% der Pflegeeinrichtungen konnten 2011 keinen Jahresüberschuss verzeichnen. Für 2012 erwarten sogar 69,1% der Krankenhäuser, 78,1% der Reha-Einrichtungen und 74,4% der Pflegeeinrichtungen, dass sie keinen Jahresüberschuss erreichen werden. 51,4% der Krankenhäuser, 48,4% der Reha- und 37,8% der Pflegeeinrichtungen werden 2012 aller Voraussicht nach sogar rote Zahlen schreiben.
„Die Zahlen sprechen eine ganz deutliche Sprache“, sagte Reumann. „Die finanzielle Situation der Krankenhäuser wird immer schlechter.“ Die BWKG wird laut Reumann daher nun mit einem Bündel von Maßnahmen reagieren, um die berechtigten Ansprüche ihrer Mitglieder durchzusetzen. So werden beispielsweise in der Zeit bis zur Bundestagswahl gemeinsame Aktionen mit verschiedenen Krankenhäusern vor Ort stattfinden. „Wir werden unser Anliegen in die Fläche bringen. Wir werden die Bundes- und Landtagsabgeordneten zu unseren Terminen vor Ort einladen. Sie sollen die Situation ‘ihres‘ Krankenhauses kennenlernen und sagen, wie sie ihrer Verantwortung für die Gesundheitsversorgung gerecht werden wollen“, betonte Reumann. Für Mai und Juni kommenden Jahres kündigte Reumann einen BWKG-Wahlcheck zur Bundestagswahl 2013 an.
In „aufwühlenden Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene“ sei das Ziel einer „fairen Krankenhausfinanzierung“ nicht erreicht worden, kritisierte der BWKG-Vorsitzende. Dies bestätige auch die Umfrage. Beispiel: Die im Juli vom Bundestag beschlossene Tarifausgleichsrate werde von 85% der betroffenen Krankenhäuser als ungenügend bewertet. Sie reiche nicht einmal aus, um die Sparauflagen, die 2010 beschlossen wurden, auszugleichen: Die Krankenhäuser im Land erhalten in 2012 zur Finanzierung der Tarifabschlüsse zwar rund 33 Mio. Euro zusätzlich. Durch die vorangegangenen Spargesetze sind ihnen aber davor rund 65 Mio. Euro entzogen worden.
Die Forderung an die Politik sei ganz klar, sagte Reumann: „Ein Krankenhaus, das bedarfsgerecht ist und wirtschaftlich arbeitet, muss ohne Mehrleistungen in der Lage sein, seine Betriebskosten zu decken“. Dazu müssen die tarifbedingten Kostensteigerungen auch zu einer Steigerung der Krankenhausvergütung führen. Außerdem muss die Berücksichtigung von Leistungssteigerungen verändert werden. „Es kann nicht sein, dass bei steigenden Patientenzahlen im Land der Erlös je Fall für alle Krankenhäuser sinkt.“ unterstrich Reumann. Ein Krankenhaus mit konstanter Patientenzahl sei dann nicht mehr in der Lage, die unabweisbaren Kostensteigerungen, etwa wegen steigender Tariflöhne, zu finanzieren. „Das ist absurd, zutiefst ungerecht und gefährdet mittelfristig die flächendeckende Versorgung der Patienten“, erklärte der Vorsitzende. 87,4% der Krankenhäuser fordern in der Umfrage deshalb die Streichung dieser Regelung.
Auch die finanzielle Situation der Reha-Einrichtungen im Land ist unverändert schlecht. Bei der Rentenversicherung ist dies vor allem auf die Budgetierung der Reha-Ausgaben zurückzuführen. Bei der gesetzlichen Krankenversicherung gehen die Reha-Ausgaben seit Jahren zurück: Es werden immer weniger Reha-Maßnahmen bewilligt; die Reha-Kliniken erhalten, wenn überhaupt, nur minimale Vergütungssteigerungen. Dennoch bewerten die Reha-Kliniken ihre Zukunftsperspektiven etwas weniger pessimistisch als noch vor einem halben Jahr. Die graduelle Verbesserung dürfte auf die Einrichtung der Reha-Schiedsstelle zum 15. Oktober 2012 zurückzuführen sein. Hier können die Reha-Einrichtungen gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung erstmals höhere Vergütungen durchsetzen. „Es bleibt abzuwarten, ob die Reha-Schiedsstelle die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen kann“, machte der BWKG-Verbandsdirektor Matthias Einwag klar. Da die Krankenkassen großen Einfluss auf die Auswahl der Reha-Einrichtungen haben, bestehe die Gefahr, dass eher nach dem Preis und weniger nach der Qualität entschieden werde.
„Das Reha-Budget in der Rentenversicherung muss weg“, forderte Einwag. „Immer mehr Menschen brauchen eine medizinische Rehabilitation, um im täglichen Leben und in der Arbeitswelt wieder Fuß zu fassen.“ Dies sei eine unmittelbare Folge der demografischen Entwicklung und der Verlängerung der Lebensarbeitszeit und müsse finanziert werden. „Von den gesetzlichen Krankenversicherungen fordern wir mehr Wertschätzung für die Rehabilitation“, betonte Einwag. Ausschließlich medizinische Kriterien dürften bei der Genehmigung oder der Ablehnung eines Reha-Antrags eine Rolle spielen. Für die Sozialversicherungen gelte: Eine erfolgreiche Rehabilitation „rechnet“ sich sehr schnell, wenn beispielsweise der Beginn einer Erwerbsminderungsrente oder ein Pflegeheimaufenthalt dank Reha um wenige Monate hinausgeschoben werden können.
Die Pflegeeinrichtungen bewerten sowohl ihre aktuelle Stimmungslage als auch ihre Zukunftsperspektiven so pessimistisch wie noch nie. Neben den finanziellen Sorgen haben sie große Probleme, qualifiziertes Personal zu finden. Die Zahl der Pflegeeinrichtungen, die Schwierigkeiten hat, freie Stellen bei den Pflegefachkräften wieder neu zu besetzen beträgt 83,3% und ist damit höher als im Frühjahr 2012. Damals rechneten 80,4% mit Schwierigkeiten. Alarmierend ist auch, dass die Suche nach Altenpflegeschülern immer problematischer wird. Erstmals rechnen mehr als 40% der Pflegeeinrichtungen (42%) mit Schwierigkeiten, wenn es darum geht, Ausbildungsplätze in der Altenpflege zu besetzen.
„Wenn nur noch Abiturienten eine Pflegeausbildung machen sollen, wird dies den Fachkräftemangel in Zukunft dramatisch verschärfen“, warnte Einwag. Daher dürfe die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie nicht geändert werden. Aktuell wird in der EU diskutiert, dass eine 12-jährige allgemeine Schulvorbildung Voraussetzung für eine gegenseitige Anerkennung der Krankenpflege- und Hebammenausbildungen werden soll. Wenn dies tatsächlich umgesetzt wird, hätte dies laut Einwag vor allem für die praxisorientierte Pflegeausbildung in Deutschland negative Folgen. „Wir brauchen weiterhin die jungen Menschen mit einem Realschulabschluss in der Pflege“, erklärte Einwag. Diese seien unverzichtbar, um die immer älter werdenden Menschen in den Einrichtungen zu pflegen und zu betreuen. Um zukünftige Pflegekräfte zu gewinnen, beteilige sich die BWKG auch an der Kampagne der Landessozialministerin Katrin Altpeter "Vom Fach – Für Menschen. Pflege- und Sozialberufe in Baden-Württemberg".